Ist mein Unternehmen zahlungsfähig? Die Zahlungsunfähigkeit wird in der Norm des §17 InsO und von der Rechtsprechung des BGH geprägt. Die Zahlungsunfähigkeit ist ein allgemeiner Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren gemäß §17 Abs. 1 InsO.
Die Beratung und Information zu diesen rechtlichen Aspekte ist eindeutig den juristischen Berufsständen vorbehalten.
Wir geben in diesem Beitrag eine allgemeine Information, die keine verbindliche Beratung darstellen will und in keinem Fall so angenommen werden darf. Das Ziel und der Nutzen des Beitrags sollen sein, komplexe juristischen Belange aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu beschreiben.
Wenn individuelle Situationen in Unternehmen über ein allgemeines Interesse hinausgehen, empfehlen wir immer den Rat eines entsprechenden Berufsträgers, beispielsweise eines Fachanwaltes für Insolvenzrecht.
Definition Zahlungsunfähigkeit, ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig
Die Zahlungsunfähigkeit wird in §17 Abs. 2. S. 1 InsO definiert. Sie liegt also vor, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.
Diese Legaldefinition hat viele Fragestellungen aufgeworfen, die der BGH in vielen Rechtsprechungen geklärt hat. Die Rechtsprechung lebt und entwickelt sich ständig weiter. Aktuell kann man davon ausgehen, dass man sich an folgendem Standpunkt des BGH orientieren kann:
Zahlungsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Schuldner nicht innerhalb von 3 Wochen in der Lage ist, 90% seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten zu begleichen. Im Umkehrschluss gilt, dass man davon ausgehen kann, dass eine reine Zahlungsstockung vorliegt, wenn der Betrag seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, die ein Unternehmen in einem Zeitraum von 3 Wochen nicht begleichen kann, kleiner als 10% sind.
Ist mein Unternehmen zahlungsfähig, Berechnung und Konkretisierung der Zahlungsfähigkeit
Der erste Schritt ist eine Liquiditätsbilanz
Der Geschäftsführer erstellt eine Liquiditätsbilanz. Dies ist eine betriebswirtschaftliche Gegenüberstellung der liquiden Mittel der Aktivseite der Bilanz und der kurzfristigen fälligen Verbindlichkeiten. Zu den liquiden Mitteln gehören unter anderem Kassenbestände, Bankguthaben und freie Linien, auch geduldete Überziehungen und die mit überwiegender Sicherheit kurzfristig eingehenden Forderungen gegenüber Kunden, aber auch gegenüber Gesellschaftern.
Auf der Passivseite muss der Geschäftsführer die kurzfristig fälligen Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten, und sonstige kurzfristig fällige Verbindlichkeiten ansetzen. Zu diesen zählen insbesondere die Löhne, Sozialversicherungsbeiträge, Steuern, Mieten, Leasing, Energiekosten, Zinszahlungen, Tilgungen und vergleichbare Positionen.
Wenn Unsicherheit darüber besteht, wann eine Verbindlichkeit fällig wird, kann man den $ 271 BGB zu Raten ziehen.
Wenn der BGH von fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten spricht, meint er offensichtlich nicht, dass der Gläubiger diese Verbindlichkeiten angemahnt haben muss. Der Geschäftsführer darf jedoch einzelne Umstände berücksichtigen, die nachvollziehbar glaubhaft machen, dass der Gläubiger nicht auf eine Zahlung in einer bestimmten Frist besteht. Die Praxis zeigt, dass man solchen Umstände dokumentieren muss. Noch besser sind individuelle und dokumentierte Absprachen unter Kaufleuten, beispielsweise Stundungsvereinbarungen, Stillhalteabkommen oder ähnliches.
Der zweite Schritt in der Konkretisierung der Zahlungsfähigkeit ist eine enge Zeitraumbetrachtung
Als nächstes stellt der Geschäftsführer die Entwicklung der Liquidität in einem engen Zeitraum auf. Damit will man feststellen, ob im Unternehmen nur eine vorübergehende Geldknappheit vorliegt oder ob diese eben nicht nur vorübergehend ist. Hier sollte der Geschäftsführer berücksichtigen, dass Zahlungsfähigkeit vorliegt, wenn er seine Liquiditätslücke kurzfristig, also in längstens 3 Wochen zuverlässig wieder schließen kann. Die Maßnahmen können von der Belebung der Geschäftstätigkeit bis zur Aufnahme eines Darlehens oder der Umsetzung einer Kapitalerhöhung gehen, sie müssen jedoch schlüssig sein und ernsthaft umgesetzt werden.
Auch kurzfristig liquidierbares Anlagevermögen oder Umlaufvermögen darf der Geschäftsführer berücksichtigen, eben alles, was in der engen Frist von 3 Wochen zu Geld gemacht werden kann. Abweichend von einer Bugwellentheorie wird häufig der Standpunkt vertreten, dass der Geschäftsführer sowohl Einnahmen aus künftigen in diesem Zeitraum der 3 Wochen fällig werdenden Forderungen als auch die künftigen fällig werdenden Verbindlichkeiten dieses Zeitraums gegenüberstellen muss. Diese fällig werdenden Postionen muss der Geschäftsführer tagesgenau gegenüber stellen.
Der dritte Schritt ist die Berechnung der Höhe der Unterdeckung oder Liquiditätslücke
Der Unternehmer muss innerhalb dieses engen Zeitraums von maximal 3 Wochen die fälligen Verbindlichkeiten und Zahlungsverpflichtungen nicht vollständig, also nicht zu 100% begleichen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH darf die Liquiditätslücke aber nicht größer als 10% sein. Ist die Lücke als kleiner als 10% oder kommt der Geschäftsführer in diesem kurzen Zeitraum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu so viel Geld, dass er die Lücke schließen, wenn ein Zuwarten den Gläubigern zumutbar ist und er die Gläubiger vollständig befriedigen kann, so darf er von Zahlungsfähigkeit ausgehen. Gelingt dem Geschäftsführer jedoch das Beschaffen der notwendigen Geldmittel in diesem Zeitraum nicht oder nicht vollständig, so muss er prüfen, ob er noch davon ausgehen darf, dass sein Unternehmen zahlungsfähig ist.
Ist mein Unternehmen zahlungsfähig? Wenn alle Indizien dafür sprechen, dass ein Unternehmen seine Zahlungen eingestellt hat
Die Feststellung der Zahlungsfähigkeit und die Beurteilung der Liquiditätslücke sind mit komplizierten Berechnungen verbunden, die dem Geschäftsführer jedoch nicht den Blick verstellen dürfen. Wenn sich aus dem gesamten Zahlungsverhalten seines Unternehmens ergibt, dass es seine Zahlungen eingestellt hat, darf er nicht mehr ohne weiteres von einer Zahlungsfähigkeit ausgehen.
Liegen also Indizien vor, dass der Geschäftsführer mit dem Zuflüssen nur noch „Löcher stopft“, so darf der Geschäftsführer nicht mehr ohne weiteres von Zahlungsfähigkeit ausgehen. Diese Indizien hat der BGH in vielen Urteilen sehr genau beschrieben. Dazu zählen beispielsweise eine Vielzahl von Mahnbescheiden, Pfändungsbeschlüsse, Rücklastschriften, Rückstände bei Sozialversicherungsträgern, Kürzung der Kreditlinien und verschiedenes mehr.
Gerade die Betrachtung der Indizien ist für eine ex-post Betrachtung, für die Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff InsO, jedoch auch für die nach § 64 S.1 GmbhG für den Geschäftsführer wichtig. Denn auch die Beurteilung eines Staatsanwaltes kann sich auf die Beurteilung einer Indizienlage stützen.
Die Zahlungsfähigkeit wieder herstellen
Der Geschäftsführer kann bei der Ausgaben- und der Einnahmenseite ansetzen, um die Zahlungsfähigkeit wieder herzustellen und zu sichern. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Liquidität können Factoring, Sale and lease back von Anlagegütern oder die Verbesserung des Mahnwesens sein, meist ist es jedoch notwendig, dass man eine aufschiebende Vereinbarung mit den Lieferanten sowie den Kreditinstituten über eine befristete Tilgungsaussetzung trifft und dem Unternehmen frisches Geld zuführt.
Zahlungsfähig bleiben – Praxistipp für die Liquidtätsplanung
Aus Beratersicht und Erfahrung ist es sinnvoll, regelmäßig eine Liquiditätsrechnung aufzustellen. Ebenso sollte der Geschäftsführer die vermeintlichen Indizen für die Einstellung der Zahlungsfähigkeit sehr eng im Blick behalten. Damit kann ein Unternehmer gewährleisten, dass die Datenbestände belastbar sind, dass der Prozess im Rechnungswesen stabil ist. Er kann ebenfalls nachweisen, dass er seinen Pflichten regelmäßig nachgekommen ist. Das bedeutet, dass er nicht nachlässig oder schuldhaft eine kritische Situation vernachlässigt hat. Zeichnen sich im Unternehmen konkrete Liquiditätsengpässe ab, so sollte der Geschäftsführer sofort einen Rat eines geeigneten Juristen einholen. Denkbar ist ebenso das Gespräch mit einem anderen zugelassenen Berufsträgers. Dies sollte er dokumentieren. Bei der betriebswirtschaftlichen Sanierung sollte er den Rat eines betriebswirtschaftlichen Beraters mit Sanierungserfahrung einholen. Im keinem Fall kann der Geschäftsführer sich in der Krise damit beschäftigen, selbst eine Fortführungsprognose zu erstellen. Obwohl er diese jedoch für alle weiteren Verhandlungen dringend benötigt.