„Hauptsache gemeinsam und nicht einsam; urban, digital und bezahlbar, Stadt- statt Landflucht“. Das sind kurz gesagt die aktuellen Grundstimmungen in unserer Bevölkerung. Die Stiftung für Zukunftsfragen interessierte sich dafür, wie und wo wir in Deutschland zukünftig wohnen wollen. Ist das die Folge der unverbindlich und virtuell gewordenen Welt? Wie verändern wir uns und was könnten andererseits unsere neuen Konsumwünsche werden?
Die soziale Komponente gewinnt an Bedeutung
Gerade in den Zeiten der Unsicherheit und der Unverbindlichkeit scheint das Bedürfnis nach echter Nähe und Zugehörigkeit zu steigen. Das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit, Unbeschwertheit, Vertrauen und Sicherheit wird ebenfalls stärker. Die Familie verkörpert genau diese Werte für einen hohen Anteil in unserer Bevölkerung. Deutlich wird dies in dem Wunsch, in der Nähe der Familie zu leben. Denn so würden 29% der Bevölkerung am liebsten wohnen. Gemeinsam mit Gleichgesinnten wäre für weitere 12% der Befragten die erste Wahl. Das Leben in einem Mehrgenerationenhaus wäre für 8% am schönsten. Unter dem Strich bevorzugen 49% der Menschen in Deutschland eine Wohnform, die vor allem vor Einsamkeit schützt und wirkliche Nähe ermöglicht.
Für die Wohnwünsche gilt die Formel „urban, digital und bezahlbar“. Die Menschen möchten auf dem Land wohnen, kurze Wege haben und schnelles Internet zur Verfügung haben. In zentraler Lage, mit guten ÖPNV und außerdem mit Garten soll die Wohnung sein. Jeder Dritte zieht es vor, sämtliche alltäglichen Anforderungen in der Nähe erledigen zu können. Das schließt den Supermarkt, den Arzt, Schulen und öffentliche Verwaltung genauso ein wie Restaurant oder Kino. Das Wohnen auf dem Land wird wieder beliebter, es muss aber eine gute Anbindung an die Stadt durch den ÖPNV bestehen und der Internetanschluss muss schnell sein.
In der Zukunft wollten 47% der Bevölkerung lieber auf dem Land oder in einer Kleinstadt leben. Eine mittelgroße Stadt bis 100.000 Einwohner würden zudem weitere 23% akzeptieren.
Social Cocooning als Antwort auf die unsichere Welt
JOMO steht für “Joy of Missing Out”. Es steht im Gegensatz zur Angst, etwas zu verpassen (FOMO). Anstelle dem Wunsch nach Weggehen, Events und Selbstdarstellung treten Gemütlichkeit in der Familie oder in der Gemeinschaft mit Freunden. Angenehme Atmosphäre, gemeinsame Essen sowie Gesellschaftsspiele sollen die Zugehörigkeit festigen und die notwendige Erholung ermöglichen. Gemeinsam und kreativ Essen zubereiten und die Küche als Treffpunkt in der Großfamilie, das verspricht etwas Heimeliges. Das sind Antworten auf eine globale Situation, die einem tiefgreifenden sozialen, ökonomischen und politischen Wandel unterliegt.
Social Cocooning ist technikaffin
Konnektivität ist selbstverständlich. Digital soll das Wohnen und das Leben sein. Erst die modernen Technologien erlauben es, aus den eigenen vier Wänden einen Ort zu machen, von wo aus Menschen an sozialen Gruppen teilhaben können, Bewertungen oder Tipps tauschen und an Erlebnissen teilnehmen können.
Für die Zukunft könnte ein bewusster und kreativer Umgang mit Produkten, Menschen und Situationen eine neue Bedeutung haben, insbesondere wenn sie einen starken sozialen Aspekt haben. In Mikrogesellschaften wie Familie, Wohngemeinschaft oder enger Freundeskreis entspannen und Kraft tanken, das sind kurz gesagt die Anforderungen. Analoge Spiele im Wohnzimmer oder digitale Varianten mit den engen Freunden, ebenso lieber Airbnb, Co-Living oder Co-Working als alleine im Hotel an der Bar oder im Club. Dabei ist Cocooning als Phänomen schon in den 1980-er und 1990-er Jahren aufgetreten. Es geht darum, einen sozialen und gepanzerten Kokon, eine sichere Privatsphäre, für verschiedene Lebenssituationen aufzubauen. In der Bahn oder der Stadt mit Musik und Kopfhörer in einer eigenen Welt unterwegs sein, Zuhause einen Film streamen anstelle im Kino zu sitzen oder durch die Stadt gehen und permanent mit dem Smartphone telefonieren oder Posts anschauen sind also die neuen Dimensionen.
Gemütlichkeit für das neue Zuhause
Social Cocooning als Antwort auf die unsichere Welt hat die Konsumwünsche verändert. Der Wohnort wird zum Wohlfühlort. Dieser neue Lebensstil verspricht ein glücklicheres Zusammenleben, beispielsweise durch Spiele, gutes gemeinsames Essen, Geselligkeit und schön gestaltete Wohnräume, möglichst auf dem Land. Und wie informiert man sich und kauft die Dinge ein? Online. Insbesondere Waren aus dem täglichen Bedarf, Einrichtung und Freizeit erlebten folglich ein starkes E-Commerce-Wachstum, veröffentlicht der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V.
Geselligkeit und Behaglichkeit am Wohlfühlort – das führt zu einem Umsatzaufschwung in den entsprechenden Branchen. Der vom Handelsverband Deutschland veröffentlichte Konsummonitor Corona macht dies deutlich: der Einzelhandelsumsatz bei Heimwerkerbedarf nahm real um 13% zu, Lebensmittel verzeichnen ein Umsatzplus von rund 6% und bei den Warengruppen Puzzles und Gartenspielgeräte stieg der Umsatz sogar um rund 60%. Reisen, Gastronomiebesuche und Kulturangebote sind jedoch zeitweise stark eingeschränkt gewesen. Daher sank die Nachfrage nach Produktgruppen mit „Außenwirkung“ wie Bekleidung (-29%), Echtschmuck (-25%) oder Anzüge und Sakkos (-74%). Offen ist, ob sich diese Entwicklungen nachhaltig festigen. Die während des Lockdowns ausgefallenen Restaurantbesuche und Reisen lassen sich nach der Krise nicht nachholen. Die Zukunft dieser Bereiche hängt daher stark davon ab, wie die Anbieter die künftige Nachfrage und die Konsumwünsche gestalten können. Inwieweit sich darauf zudem ein Einkommensrückgang oder krisenbedingte Preissteigerungen auswirken, ist ebenfalls ungewiss.